Versteckte Funkdatenübertragung in der Finanzwelt – existiert ein Kurzwellen-Handelsnetz wirklich?

sw antenna

In der Welt des Börsenhandels zählt jede Millisekunde. Schon ein winziger Zeitverlust kann Millionen kosten. Für Hochfrequenzhändler (High-Frequency-Trading, HFT) ist dieser Unterschied überlebenswichtig. Ihre Algorithmen reagieren automatisch auf Kursbewegungen – und sie investieren immense Summen, um auch nur den kleinsten Zeitvorsprung zu erzielen.

Deshalb stellt sich eine überraschende Frage: Wenn sich Licht in Glasfasern langsamer bewegt als in der Luft, lässt sich Börsendatenverkehr dann über Funk – vielleicht sogar über Kurzwelle – schneller übertragen?

Diese Idee ist längst keine Theorie mehr. In den USA und Europa häufen sich Hinweise darauf, dass der Finanzsektor mit Kurzwellen-Datenübertragung (HF, High Frequency) experimentiert, um entfernte Handelsplätze schneller zu verbinden als über klassische Glasfaserkabel.

Warum Kurzwelle für den Finanzsektor interessant ist

Das 3–30-MHz-Frequenzband besitzt einzigartige Ausbreitungseigenschaften. Kurzwellen können an der Ionosphäre reflektiert werden und so über Tausende Kilometer hinweg die Erdkrümmung „überbrücken“.

Damit kann ein Signal den Atlantik überspringen, während Licht in Glasfasern einen längeren, langsameren Weg nimmt – denn in Glas breitet sich Licht nur mit etwa zwei Drittel der Vakuumgeschwindigkeit aus.

Der reale Unterschied beträgt nur wenige Millisekunden, doch im Hochfrequenzhandel kann ein Vorsprung von 3–5 ms bereits den Ausschlag zwischen Gewinn und Verlust geben. Ein Algorithmus, der drei Millisekunden schneller reagiert als die Konkurrenz, kann täglich Hunderttausende Dollar mehr erwirtschaften.

Die technische Grundlage

Moderne Kurzwellen-Datenübertragung hat mit klassischem Amateurfunk kaum noch etwas gemein. Sie nutzt leistungsstarke, softwaredefinierte Radios (SDR), die Ionosphärenparameter in Echtzeit auswerten und ihre Frequenz, Bandbreite und Modulation automatisch anpassen.

Typische Verfahren sind:

  • QPSK / 8PSK-Modulation für effiziente, fehlerarme Übertragung

  • OFDM (Orthogonal Frequency Division Multiplexing) gegen Fading-Effekte

  • LDPC- oder Faltungscodes (FEC) zur Fehlerkorrektur

  • Adaptives Frequenz-Hopping zur Störungsvermeidung

  • AES-256-Verschlüsselung, da Kurzwelle weltweit abhörbar ist

Die Datenraten liegen meist zwischen 100 und 2000 bit/s – genug für zeitkritische Handels- und Kursinformationen, nicht aber für große Datenmengen.

Historischer Hintergrund

Seit den 1920er-Jahren dient Kurzwelle der interkontinentalen Kommunikation. Im Kalten Krieg war sie Rückgrat militärischer und diplomatischer Nachrichtenübermittlung. Zahlencodes und sogenannte Numbers Stations sendeten verschlüsselte Botschaften an Agenten auf der ganzen Welt.

Heute nutzt die Finanzwelt dieselben physikalischen Prinzipien – allerdings nicht für Spionage, sondern für Handelsvorteile. Was einst geheime Botschaften trug, könnte nun Milliardenwerte in Form von Marktdaten transportieren.

Die „Shortwave Modernization Coalition“ und FCC-Anträge

Im Jahr 2023 beantragte die Shortwave Modernization Coalition (SMC) bei der US-amerikanischen Federal Communications Commission (FCC), das 2- bis 25-MHz-Band für „zeitkritische Datenübertragung“ zu öffnen.

Die Begründung: Dieses Spektrum sei untergenutzt und eigne sich ideal für schnelle, weiträumige Kommunikation zwischen Finanzzentren wie Chicago, New York, London und Frankfurt. Die Systeme sollten ausschließlich Maschine-zu-Maschine-Verbindungen darstellen – keine Rundfunkdienste.

Mehrere Telekom- und HFT-Unternehmen unterstützten die Eingabe mit technischen Nachweisen und Versuchsdaten.

Reale Beispiele

Das israelische Unternehmen Raft Technologies gilt als Pionier. Es betreibt seit 2019 eine Kurzwellenverbindung zwischen Chicago und London und erreichte laut unabhängiger Prüfung eine mittlere Latenz von 24,8 Millisekunden – schneller als jede bestehende Transatlantik-Glasfaserverbindung.

Die Verfügbarkeit lag bei 98 %, die fehlerfreie Datenrate bei über 90 %. Damit kann ein HF-Link zwar nur geringe Datenmengen übertragen, aber entscheidende Handels-Ticks und Signale in Echtzeit weiterleiten.

Weitere Start-ups wie Skywave oder Low Latency Systems entwickeln ähnliche Lösungen. In mehreren FCC-Einträgen ist von „digital data transmission experiments“ die Rede – vermutlich im selben Kontext.

Unerklärte Funkaktivitäten

Funkamateure weltweit berichten über unbekannte digitale Signale im Bereich 10–15 MHz, die weder militärischen noch meteorologischen Mustern entsprechen. Auffällig ist ihr Auftreten während europäischer und US-amerikanischer Handelszeiten. Spektralanalysen zeigen paketbasierte, stark verschlüsselte Datenströme.

Ob diese tatsächlich Finanzdaten transportieren, ist unbewiesen – aber Frequenzwahl und Zeitmuster sprechen dafür, dass zumindest ein Teil solcher Übertragungen zu privaten Datennetzen gehört.

Aufbau eines Kurzwellen-Handelslinks

Ein typisches System besteht aus drei Elementen:

  1. Sendeanlage – leistungsstarker, SDR-gesteuerter Sender mit Richtantennen

  2. Empfangsanlage – rauscharme Mehrantennensysteme mit Diversität

  3. Netzwerkschnittstelle – selektiert, kodiert und überträgt zeitkritische Börsendaten

Das System beobachtet laufend die Ausbreitungsbedingungen und wählt automatisch die optimale Frequenz. Genutzt werden meist UDP-ähnliche, fehlerkorrigierende Protokolle mit selektiver Wiederholung.

Warum diese Signale schwer zu erkennen sind

Kurzwellen breiten sich über Tausende Kilometer ungerichtet aus. Ihr Pegel schwankt stark, und digitale Modulationen wie OFDM oder QPSK erscheinen im Spektrum wie zufälliges Rauschen. Verschlüsselte Nutzlasten weisen hohe Entropie auf – keine lesbaren Header, keine erkennbaren Muster.

Zudem laufen viele Versuchssender unter neutralen Firmennamen oder als „Telekommunikations-Forschungsprojekte“. Selbst erfahrene Funkbeobachter können nur spekulieren, welche Station welchem Zweck dient.

Rechtliche und ethische Fragen

Kurzwellen-Handelsnetze bewegen sich in einer regulatorischen Grauzone. Die meisten HF-Bänder sind für Rundfunk, Amateur- oder Forschungszwecke reserviert. Kommerzielle Datenübertragung ist nur mit Sondergenehmigung erlaubt.

Da HF-Signale Landesgrenzen überschreiten, könnten US-Übertragungen in Europa empfangen werden – ein juristisches Problem. Regulierer diskutieren noch, wie diese Systeme zu klassifizieren sind.

Ethisch stellt sich die Frage, ob exklusive Zugänge zu solchen Kanälen den Markt verzerren. Kritiker sagen ja; Befürworter sehen darin bloß technischen Fortschritt, ähnlich wie den Übergang von Kupfer zu Glasfaser oder zu Mikrowellen-Links.

Technische und operative Herausforderungen

Hauptprobleme sind:

  • Rauschen und Störungen durch Natur- und Industriequellen

  • Ionosphärische Schwankungen mit Fading und Mehrwegeffekten

  • Begrenzte Bandbreite von nur wenigen Kilohertz

  • Verschlüsselungsverzögerung, die den Geschwindigkeitsvorteil mindert

  • Internationale Koordination, da Signale grenzüberschreitend wirken

Forschungen konzentrieren sich auf adaptive Modulationsverfahren, die in Echtzeit Frequenz und Kodierung anpassen. Auch Quanten-Schlüsselverteilung (QKD) über Kurzwelle wird erprobt, um Sicherheit ohne Zusatzlatenz zu erreichen.

Die Renaissance der Kurzwelle

Mit dem Aufkommen von Satelliten und Glasfasern galt Kurzwelle lange als veraltet. Doch geopolitische Krisen, Cyberangriffe und Netzausfälle zeigen, dass infrastrukturunabhängige Kommunikation wieder wichtig ist.

HF-Links funktionieren auch dann, wenn Internet oder Seekabel ausfallen. Für Banken und Börsen bedeutet das Ausfallsicherheit – eine strategische Reserve, selbst wenn sie nicht immer schneller ist.

Zukunftsperspektiven

In den kommenden Jahren dürften sich Hybridarchitekturen etablieren, die Glasfaser, Mikrowelle und Kurzwelle kombinieren. Künstliche Intelligenz wird Frequenzwahl, Modulation und Routing optimieren, um stets minimale Latenz zu gewährleisten.

Langfristig könnte eine neue Regulierungs­kategorie „HF-Financial-Data-Networks“ entstehen, die heutige Experimente legalisiert. Vorerst bleiben die Systeme halb geheim – teils Forschung, teils Wettlauf um Mikrosekunden.

Kurzwellen-Datenübertragung für Finanzmärkte ist kein Mythos, sondern eine experimentell belegte Realität. FCC-Anträge, verifizierte Tests von Raft Technologies und unabhängige Beobachtungen weisen auf eine reale, aber undurchsichtige Kommunikationsschicht im globalen Finanzsystem hin.

Ihr Zweck ist nicht Spionage, sondern Geschwindigkeit. Dieselben Funkwellen, die einst Agentencodes trugen, übermitteln heute womöglich Handelssignale im Milliardenwert. Versteckt im Rauschen des Kurzwellenbandes flüstert vielleicht schon die Zukunft der Finanzmärkte – in Millisekunden.



Die in diesem Beitrag verwendeten Bilder stammen entweder aus KI-generierter Quelle oder von lizenzfreien Plattformen wie Pixabay oder Pexels.

Hat dir dieser Artikel gefallen? Spendiere mir einen Kaffee!

Buy Me A Coffee
Top